Eintrag 1 ─ O’Malley Senior (ohne Datum)#

Die Tinte wirkt frisch, der Stil zurückhaltend wissenschaftlich, aber persönlich.

Ich habe heute wieder bemerkt, wie das Wasser mit ihr spricht. Ich kann es nicht anders nennen. Wir gingen am See spazieren, und als ich sie kurz allein ließ, stand sie mit geschlossenen Augen da ─ ganz still, als lausche sie einer Stimme unter der Wasseroberfläche. Sie lachte, als ich sie darauf ansprach. „Meine Familie hat immer die Tiefe gehört“, sagte sie, als wäre das eine nette Marotte.

Ich muss das genauer untersuchen. Vielleicht… vielleicht gibt es mehr an diesen alten Insellegenden, als ich anfangs angenommen habe.


Eintrag 2 ─ O’Malley Senior#

Ich habe sie zum ersten Mal im Arm gehalten. So ruhig. Kein Schreien, kein Unbehagen. Nur diese offenen Augen, die viel zu klar wirken für ein Neugeborenes.

Heute Nacht glaubte ich, Wasser zu hören ─ ein leises Gluckern, obwohl die Rohre still sind. Meine Frau schlief neben mir, das Kind auf ihrer Brust. Ich bin aufgestanden, weil ich dachte, irgendwo liefe ein Hahn über.

Das Geräusch kam aus dem Kinderzimmer. Die Schüssel mit Wasser auf dem Wickeltisch war in Bewegung, als hätte jemand die Oberfläche angestupst.

Ich muss endlich beginnen, Aufzeichnungen über die Familienlinie meiner Frau zu sammeln.


Eintrag 3 ─ O’Malley Senior#

Die Schrift ist erschöpft, Zeilen schief.

Sie ist schwächer geworden. Nicht körperlich ─ nein, das wäre zu einfach. Es ist etwas Tieferes. Sie schläft kaum noch und sagt, dass der See „lauter“ wird.

Ich habe heute Werke aus Indien, Tibet, Griechenland und einem Händler in London erhalten. Einige davon empfinde ich als abstoßend, aber ich werde nichts zurückweisen, das ihr helfen könnte.

Ich glaube nicht mehr an eine gewöhnliche Krankheit, die meine Frau plagt. Aber ich glaube auch nicht an den Tod. Nicht solange ich forsche.


Eintrag 4 ─ O’Malley Senior#

Der Kreis ist nun der fünfte, den ich gezogen habe. Ich kann meine Hände kaum stillhalten.

Ich bete seit drei Tagen. Ich weiß nicht mehr, zu wem.

Der Duft des Wassers liegt überall im Haus. Selbst die Dienerin bemerkte ihn.

Sie hört mich nicht mehr. Der See scheint näher gerückt, obwohl ich ihn seit Wochen nicht betreten habe.

Wenn es etwas gibt, das sie retten kann, dann werde ich es finden ─ auch wenn ich dafür das Tor aufstoßen muss, das kein Mensch öffnen sollte.


Eintrag 5 ─ O’Malley Senior#

Der Rand der Seite ist verkohlt. Der ## Eintrag endet mehrmals abrupt und springt.

Sie ist fort. Sie ist ─ Ich habe sie gehalten, aber sie war schon…

Fiona hat den ganzen Tag mit niemandem gesprochen. Dann kam sie zu mir und sagte: „Ich werde das übernehmen.“ Und als ich fragte: „Was übernehmen?“, antwortete sie nur:

„Sonst passiert etwas Schlimmes. Schlimmer noch als Mutters Tod.“

Ich habe Angst. Zum ersten Mal in meinem Leben.


Eintrag 6 ─ O’Malley Senior#

Die Dienerin kam weinend in mein Arbeitszimmer. Fiona sei seit Stunden nicht mehr in ihrem Zimmer. Die Fußspuren im Flur ─ klein, nackt ─ führten zur Hintertür. Dann nichts mehr.

Ich fand eine Zeichnung in ihrem Bett. Zwei Kreise ineinander. Ein Strich nach unten. Und darüber ein Wort, das ich nie gelehrt habe.

„Ar bhealach eile.“ Ein anderer Weg.

Ich fürchte, sie ist den falschen Leuten in die Hände gefallen. Oder sie hat den See selbst gewählt.

Mein lieber Dunbar war außer sich und eines meiner Bücher ist verschwunden. Hoffentlich stellt er nichts an.

Eintrag 7 ─ Dunbar#

Mein Vater hat nie verstanden, was sie war. Ich vielleicht auch nicht. Aber ich weiß, dass ich anders bin. Ich wachse, aber ich altere nicht. Nicht sichtbar. Die Dienerin fragte heute: „Wie lange ist es her, dass du geboren wurdest?“ ─ und ich wusste die Antwort selbst nicht mehr sicher.

Vater forscht weiter. Er wirkt, als würde die Bibliothek ihn verschlingen.


Eintrag 8 ─ Dunbar#

Die Seite zeigt schwarze Ränder, offenbar vom Tischbrand. Einzelne Worte fehlen.

Vater lag mitten im Arbeitsraum. Der Spiegel ─ zerbrochen. Die Kreidezeichen an den Wänden waren verbrannt, aber nicht das Holz darunter. Ich glaube nicht, dass er einen Fehler gemacht hat.

Ich glaube, sie hat ihn geholt. Oder gewarnt.

Seine letzten Notizen handeln von Fiona. Von „Bindungen unter der Tiefe“. Von „denen, die den Atem der Welt zurückhalten“.

Ich weiß nicht, wie viel davon Wahnsinn war. Oder wie viel Wahrheit.


Eintrag 9 ─ Dunbar#

Ich erinnere mich an ihre Stimme, obwohl ich dachte, ich würde sie vergessen. Sie lachte immer, bevor sie ins Wasser sprang. Ich war ein Kind und fand das normal.

Jetzt weiß ich: Es war ihr Erbe. Und was die Baddies damit wollten, ist unaussprechlich.

Ich glaube nicht mehr, dass sie tot ist. Nur gebunden.


Eintrag 10 ─ Dunbar#

Ich habe beschlossen, den Namen abzulegen. Nicht aus Scham. Sondern weil keiner mir abnimmt, dass ich älter werde. Ein Mann ohne Falten, ohne ein Jahr im Gesicht.

Ich werde das Haus verlassen. Alle Papiere verbrennen.

Neuer Name. Neuer Ort. Ab jetzt werde ich mich Cian nennen. Aber nie weit genug, um ihren Ruf nicht zu hören.